Ahmat Sulahman

Ahmat Sulahman

… lebt seit 50 Jahren in den Simien Mountains. Doch in einigen Monaten wird er umgesiedelt.


In aller Seelenruhe blickt Ahmat Sulahman auf die Feuerstelle vor ihm. Um ihn herum ist es schwarz. Helligkeit bietet nur das Feuer und ein wenig Tageslicht, das von außen durch die Tür schimmert. Das runde Haus mit der Holzfassade und dem Strohdach ist fast gänzlich leer, Fenster gibt es keine. Ein paar Schäfchen sind zu erahnen, einfache Gefäße und Decken, ein Regenschirm. Die Augen kneift Ahmat leicht zusammen, um sie gegen den Rauch zu schützen. Es duftet nach Ruß, Holz, Schaf. Und nach Kaffee. Das gesamte Haus ist erfüllt von diesem Duft, für den Ahmats Frau Workie Muhamed verantwortlich zeichnet: Zuerst röstet sie die Kaffeebohnen, danach werden sie zerstampft, um schließlich mit kochend heißem Wasser aufgegossen zu werden. Kaffee-Zubereitung, das ist hier eine Zeremonie, die mehrmals täglich wiederholt wird.

„Wenn Gäste kommen, muss immer genügend Kaffee im Haus sein. Er hilft gegen Kopfweh. Er hilft, wenn es zu heiß ist und er hilft, wenn es zu kalt ist“, sagt Ahmat. Zudem schütze der regelmäßige Kaffee-Genuss das Haus – da sind sich der Hausherr und seine Frau einig. Doch in wenigen Monaten werden sie hier keinen Kaffee mehr trinken. Und ihr Haus wird dem Erdboden gleichgemacht sein. Genau wie ihr gesamtes Dorf.

Ahmats Familie lebt im kleinen Dörfchen Gich, auf 3600 Metern Höhe im Zentrum der Simien Mountains. Beobachtet von weit in der Höhe kreisenden Bartgeiern, umgeben vom leisen Rascheln der Eukalyptus-Bäume und dem Krächzen der Erzraben. Aus der Ferne ertönt gelegentlich das laute Kreischen der Gelada-Paviane. Der wilde Sauerampfer, der Geruch von Thymian, die rötlich-gelben Gerstenfelder, die hier auf bis zu 3800 Metern gedeihen, die Pferde, Esel und Maultiere, die Kuh- und Schafherden – die Simien Mountains sind traumhaft schön. Und genau hier liegt das Problem: Diese Schönheit soll erhalten bleiben. Denn die Berge gehören zum UNESCO-Weltnaturerbe. Dort stehen sie auf der schwarzen Liste. Und das Land möchte den UNESCO-Status in keinem Fall verlieren.

Die Bewohner von Gich jedoch leben seit ihrer Ankunft vor 50 Jahren – der Zeit großer muslimischer Migrationsbewegungen innerhalb Äthiopiens – hauptsächlich von der Landwirtschaft. Das Land ist fruchtbar, die Aufzucht und der Verkauf von Maultieren garantieren ein wirtschaftlich solides Leben. Gute Bedingungen also für die Dorfbewohner. Doch die Viehzucht und das Abholzen der Bäume haben verheerende Folgen für die Flora der Region und sind bisweilen tödlich für die endemischen Tierarten, die nirgends anders mehr auf der Welt existieren als hier in den Simiens. Der Äthiopische Wolf, der Äthiopische Steinbock, die Geladas sowie zahlreiche weitere Säugetier- und Vogelarten sind vom Aussterben bedroht. Durch die Abholzung wird ihr Lebensraum zunehmend kleiner. Die Nutztiere der Dorfbewohner übertragen zudem Bakterien und Krankheiten, die den Bestand dieser seltenen Tierarten weiter verringern.

Deshalb entschied sich die Regierung für die Umsiedlung des gesamten Dorfs. Ob aufgrund eines wachsenden Öko-Bewusstseins oder der Angst, mit dem Verschwinden seltener Arten UNESCO-Status und Touristen-Ansturm gleichermaßen zu verlieren, sei dahingestellt. Fakt ist: Ahmat, Workie und ihre zehn Kinder werden im kommenden Jahr das Dorf verlassen. Ihre Feuerstelle, ihr Haus und ihre Tiere. „In diesem Haus leben wir seit acht Jahren“, sagt Ahmat. „Acht Menschen, vier Pferde, sechs Kühe, 20 Schafe und noch ein paar Hühner.“ Noch ist das so. Noch gehen die Tiere durch den einen Hauseingang und die Menschen durch den anderen, getrennt nur durch die Art zu Leben.

Zur selben Zeit werden in der nächst größeren Stadt, Debark, einige Kilometer außerhalb des Simien Mountains National Parks, in Windeseile Häuser hochgezogen. Viereckig, westlich. Mit einem Dach aus Blech und nicht aus Stroh. Die Umsiedlung Gichs ist nur eine von vielen im Hochland Äthiopiens; nicht selten wurden in der Vergangenheit Bewohner unter Protest, teilweise auch unter dem Einsatz von Gewalt umgesiedelt. In Gich blieb es bislang ruhig. Manche von Ahmats Nachbarn haben das Dorf allerdings schon verlassen. Nicht in Richtung Debark, sondern in Richtung Sudan. Illegal wollen sie dort ihr Glück versuchen.

Solange ich mit meiner Familie leben kann und alle gesund sind, bin ich zufrieden.

Ahmat wird sich der Entscheidung der Regierung fügen. „Natürlich habe ich Gefühle für meine Umgebung. Ich liebe das gesunde Wetter, die wunderschönen Tiere und die Landschaft“, sagt er. Dennoch freut er sich auf seine Zukunft in Debark. Die Tiere wird er allesamt verkaufen. Weshalb ihm das nichts ausmacht? Er bekommt eine neue Unterkunft, die Kompensationszahlungen der Regierung sind hoch, die Infrastruktur in Debark ist viel besser als die in Gich. Welchem Job er dort nachgehen wird, weiß er noch nicht. Wahrscheinlich eröffnet er einen kleinen Kiosk. Viel wichtiger ist ihm sowieso seine Familie: „Mein Wunsch ist es, dass meine Kinder dort eine bessere Bildung erhalten, als hier oben“, blickt er in die Zukunft. „Solange ich mit meiner Familie leben kann und alle gesund sind, bin ich zufrieden.“


1. November 2015

 


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