Sizya Migila

Sisya Migila

setzt sich gegen die Verfolgung von Menschen mit Albinismus in Tansania ein und dafür, dass mehr Betroffene ein ganz normales Leben führen können – wie sie.


Die Farbe der Haut: im Grunde nicht mehr als eine genetisch vorgegebene Kombination von Farbpigmenten und Blutgefäßen. Verschiedenste Farben bringt die Natur so hervor: dunkle Hauttöne, helle, sonnengebräunte und unzählige Nuancen dazwischen. Und auch sehr weiße Töne – wenn, wie bei Menschen mit Albinismus, die Farbpigmente fehlen. In Tansania fallen letztgenannte besonders häufig auf: Das Land hat aufgrund traditioneller Verheiratung von Familienmitgliedern mit 12.000 bis 15.000 Betroffenen die höchste Albinismusquote der Welt. Obwohl Menschen mit Albinismus somit eigentlich zum gewöhnlichen tansanischen Land- und Stadtbild gehören sollten, halten sich in ländlichen Regionen des Landes bis heute Traditionen und Mythen, die ihnen das Leben erschweren.

Es ist eine Geschichte, die wahrscheinlich vielen in den geliebten stereotypischen Kram passt, der über das angeblich barbarische, rückständige Afrika besteht. Denn tansanische Mythen gehen etwa so: Das Haar eines Menschen mit Albinismus, eingewebt in das Netz eines Fischers, bringt diesem einen guten Fang. Ein Stück Haut, an die Wand eines Bootes genagelt, ebenso. Ein Knochenstück saugt Diamanten an, der Besitz eines Körperteils garantiert Erfolg und schützt den eigenen Wohlstand. Mit solch vielversprechenden Erzählungen nahm zuletzt 2008, als in vielen Regionen politische Wahlen stattfanden, die Verfolgung und Ermordung von Menschen mit Albinismus dramatisch zu. Knapp 100 sollen laut offiziellen Angaben seit 2000 ermordet worden sein, vielen weiteren wurden einzelne Körperteile oder Haare abgetrennt.

Wir sind es gewohnt, von solchen Fällen zu hören, sie sind relativ normal. Statt emotional zu sein, versuchen wir, die Situation zu ändern.

Von alledem hat Nemes Temba in der Zeitung gelesen. Und war von den Vorfällen wenig überrascht: „Wir sind es gewohnt, von solchen Fällen zu hören, sie sind relativ normal. Statt emotional zu sein, versuchen wir, die Situation zu ändern.“ Der 38-Jährige sitzt im Ocean Road Cancer Hospital in Daressalaam, dem Hauptsitz der Tansanian Albinism Society, deren frisch gewählter Vorsitzender er seit drei Monaten ist. An diesem Tag ist World Cancer Day, Nemes hat alle Hände voll zu tun – denn unter den Patienten, die zur Vorsorgeuntersuchung gekommen sind, sind viele mit Albinismus.

„Wir leben hier in einer tropischen Region mit massiver Sonneneinstrahlung. Viele Albinos wissen nicht, dass sie ihre Haut mit Sonnencreme, langer Kleidung oder Hüten schützen müssen. Der Anteil derjenigen, die im Laufe ihres Lebens Hautkrebs bekommen, ist dadurch sehr hoch“, erzählt Nemes. Statt barbarischer Verfolgung habe er vielmehr das Problem, dass Sonnencreme in der Hauptstadt nicht nur schwer erhältlich, sondern auch teuer sei. „Es gibt viel zu tun in Tansania, vor allem in ländlichen Regionen. Aber wir hören auch immer mehr Geschichten von Menschen mit Albinismus in Tansania, die ein ganz normales Leben führen und es zu etwas gebracht haben“, sagt Nemes.

Eine dieser Geschichten ist die von Sizya Migila. Seit vielen Jahren lebt die studierte Soziologin in Daressalaam und ist nach ihrer letzten Beförderung die leitende Principal Human Ressource Officer der tansanischen Regierung. Seit zehn Jahren arbeitet sie inzwischen für die Regierung und kommt gerne ins Büro: „In meinem Job treffe ich so viele Menschen und interagiere mit ihnen, das mag ich sehr. Manchmal vergesse ich sogar, dass ich Albinismus habe – so integriert und wohl fühle ich mich bei meiner Arbeit und in meinem Umfeld“, sagt die 38-Jährige.

Natürlich gebe es Situationen, in denen ihr ihre Hautfarbe sehr deutlich bewusst werde: „Als ich zum Beispiel die Familie meines letzten Freundes treffen wollte, haben sie mich abgelehnt, als sie erfahren haben, dass ich Albinismus habe. Das ist jetzt fast vier Jahre her – wir haben uns danach getrennt. Manchmal wird man also offen isoliert und diskriminiert. Aber ansonsten habe ich mit normalen Herausforderungen im Leben zu kämpfen wie jeder andere auch“, sagt sie.

Auch in Gefahr sei sie noch nie gewesen, sagt Sizya. „Meine Familie hat mich und meine beiden Brüder, die auch Albinismus haben, sehr unterstützt. Mein Vater hat sehr darauf geachtet, dass wir guten Zugang zu Bildung erhalten“, erzählt sie. Als sich die Verfolgungsfälle 2008 häuften, stellte ihr Arbeitgeber ihr aus Sicherheitsgründen ein eigenes Fahrzeug inklusive Fahrer zur Verfügung. „Die Vorfälle betrafen zwar hauptsächlich Menschen mit Albinismus in relativ abgelegenen Regionen des Landes, deren Häuser nicht gut geschützt sind, zum Beispiel in den Regionen Mwanza, Shinyanga, Tabora, Musoma, Mara und Kigoma. In Dar lebe ich sehr sicher, aber es hat sich trotzdem gut angefühlt, ungefährdet zur Arbeit kommen zu können“, sagt sie. Den Dienstwagen hat sie noch immer.

Dennoch fühlen sich Menschen mit Albinismus selbst in der größten und modernsten Stadt des Landes noch nicht ganz wohl, weil nach wie vor viele Menschen falsche Vorstellungen und Vorurteile ihnen gegenüber haben. „Auch deshalb müssen wir weiter daran arbeiten, den Menschen diese Vorstellungen zu nehmen“, sagt Sizya.

Ein guter Start sei das strenge Vorgehen gegen Banden und Hexer gewesen, die in die Verfolgungsfälle involviert waren. „Viele wurden inhaftiert und bestraft, es gab Aufklärungskampagnen und der Präsident bezeichnete die Vorfälle öffentlich als ‚Peinlichkeit‘ für unser Land“, sagt Sizya. Auch die Wahl des stellvertretenden Premierministers Abdallah Possi und der Parlamentarierin Al-Shymaa Kway-Geer – beide mit Albinismus – erhöhten die Aufmerksamkeit für die Thematik. „Das ändert das Image von Menschen mit Albinismus. Es zeigt, dass wir in verschiedensten Positionen arbeiten können, wodurch wir mehr respektiert werden als zuvor“, betont Sizya.

Die Lehrer wissen meist nicht, wie man auf Menschen mit Albinismus aufpassen muss.

Am wichtigsten sei jedoch Aufklärung – darin sind sich Sizya und Nemes einig. Und die beginnt bereits im Grundschulalter: „Die Lehrer wissen meist nicht, wie man auf Menschen mit Albinismus aufpassen muss. Viele Kinder mit Albinismus haben starke Sehprobleme, worauf die Lehrer nicht achten und sie nicht in die erste Reihe setzen. Es müsste größere Ausdrucke und größere Schriftarten bei Präsentationen geben“, sagt Nemes.

Auch die Betroffenen selbst müssten besser aufgeklärt werden, fährt er fort: „Wir wollen Kliniken im ganzen Land beibringen, dass sie Menschen mit Albinismus richtig über die Gefahren der Sonne aufklären – damit die jungen Menschen sich nicht mehr um ihre Gesundheit sorgen müssen, sondern sich voll und ganz auf ihre Bildung konzentrieren können.“

Auch Sizya möchte aufklären, auf ihre Weise: Sie plant, ihren PhD in naher Zukunft über Bildung von Menschen mit Behinderung schreiben. „Vielleicht kann ich mit meiner Thesis ja noch mehr Menschen dazu verhelfen, dass sie uns besser verstehen. Damit die Herausforderungen und Isolation von Menschen mit Albinismus in Tansania aufhören und wir eines Tages einfach normal leben können – wie alle anderen auch.“


4. Februar 2016

 


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