Patrick Ngeli

Patrick Ngeli… nahm Abschied vom anstrengenden IT-Business und legt jetzt ein „gap year“ ein.


„Willkommen, fühlt euch wie zu Hause – mi casa su casa“, verkündet Patrick zur Begrüßung und bittet einladend ins Haus. Wohl kaum gibt es einen Satz, den man nach einer langen Nacht in der Luft lieber hören möchte. Oft hat der 35-Jährige die Worte bisher noch nicht benutzt – er wird es aber in Zukunft. Erst vor einigen Monaten hat er sein Guesthouse in Ruandas entspannter Hauptstadt Kigali eröffnet. Eine Geschichte über ihn? Ungern, warum denn, er habe doch nichts Interessantes gemacht oder erreicht. „I´m just a random guy“, lautet sein kritisches Urteil. Auch eine Selbsteinschätzung scheut er: „Dynamisch, sensibel, …“, er denkt lange nach. „Den Rest müsst ihr ausfüllen“, weicht er schließlich aus. Nun gut, wagen wir den Versuch.

Ungewöhnlich. Patricks Geschichte mag vielleicht irgendwie „random“ sein, doch unüblich ist sie trotzdem. Besonders in Ruanda. Denn Patrick befindet sich aktuell in einem „gap year“, wie er es nennt. „Ich wechsele von meinem alten Beruf zu einem neuen. Und weil mein neuer Beruf so viel besser zu mir passt, fühlt es sich an wie ein ‚gap year‘“. Umentscheiden, aussteigen, eine Arbeit, die das eigene Leben mit Sinn erfüllt – Patrick ist zweifelsohne Teil der Generation Y. Seine Familie erklärt ihn deshalb für verrückt. „Sie wollen, dass ich heirate, ein Haus baue und eine Familie gründe. Ich soll hart arbeiten und Geld verdienen“, sagt er, „aber sie verstehen nicht, dass ich das ja trotzdem tue.“

Geschäftstüchtig. Denn ohne guten Plan, einfach ins Blaue hinein, wäre er nie auf die Idee gekommen, sein Haus für zahlende Gäste zu öffnen. Patrick ist daher auch Geschäftsmann, eigentlich seit dem zehnten Lebensjahr. Damals startete er sein erstes Business und verkaufte die Eier der drei Hühner, die ihm sein Vater geschenkt hatte. „An einem Geburtstag wurden dann zwei von ihnen beim Fangen spielen tot getrampelt – mein erster Bankrott“, erinnert er sich und lacht. Mit 16 Jahren folgte das zweite finanzielle Trauma: Seine Idee, in Telefonzellen zu investieren, nahm ein jähes Ende, als im ganzen Land plötzlich Handys verkauft wurden.

Ehrgeizig. Womöglich entschied er sich auch aus diesem Grund dafür, später Rechnungswesen zu studieren. Doch durch Kontakte im Freundeskreis erkannte er das Potential der IT-Branche und verbrachte anschließend unzählige Nächte vor seinem Laptop, um sich die Grundlagen anzueignen. Einige Jahre später gründete er sein eigenes Unternehmen für Softwarelösungen. Er lag richtig: der Sektor boomte. Patrick wurde erfolgreich, gewann Preise, war zeitweise unter den Top-3 der ruandischen IT-Branche gelistet. Inzwischen ist diese zum Teil moderner als in Europa: Totenscheine, Geburtsurkunden oder die letzte Wasserrechnung sind ausschließlich online verfügbar; unter den lokalen Bauern hat sich eine App etabliert, mit der sie täglich den Preis für ihre Bananen vergleichen. Wer auf dem Land wohnt, kann sich für einen mobilen Servicedienst anmelden, der im Bedarfsfall Medikamente liefert. Geplant ist, letztgenannte ab 2020 über Drohnen zuzustellen, denn Ruanda ist das erste Land weltweit, in dem ab dem kommenden Jahr Drohnenflughäfen gebaut werden.

Da habe ich gemerkt, wie sehr mich mein Job angestrengt hat. Und dass er im Grunde gar nicht so gut zu mir passte.

Reflektiert. Dennoch kam für Patrick irgendwann der berühmte Punkt, an dem er sich fragte, was ihn eigentlich ausmache. „Da habe ich gemerkt, wie sehr mich mein Job angestrengt hat. Und dass er im Grunde gar nicht so gut zu mir passte. Danach fiel die Entscheidung, ein Guesthouse zu eröffnen – ich bin wirklich leidenschaftlich gerne Gastgeber.“ Er kaufte ein Haus mit Blick auf die Stadt und begann, es nach seinen Wünschen umzugestalten. Seine frühere Tätigkeit hilft ihm heute: „Ich kenne die Branche und den Markt“, erklärt er. „Und von meinen eigenen Reisen weiß ich, was sich Gäste wünschen“, fügt er hinzu. Deshalb die netten Worte, die heiße Dusche und das Frühstück mit frisch gepressten Säften.

Engagiert. Und Patrick hat noch weitere Pläne: Einige Kilometer außerhalb der Stadt hat er vor einiger Zeit einen großen Garten gekauft und möchte seinen bisherigen Nachdenk-Platz ebenfalls zu einer Gästeunterkunft umbauen. Der Erwerb des großen Grundstücks sei nicht leicht gewesen im schon jetzt sehr dicht bevölkerten Ruanda. „Die Regierung hat Programme ins Leben gerufen, die genau vorschreiben, welche Gebäude auf wie viel Quadratmeter zu sein haben. Ich wollte ursprünglich ein Hotel bauen, aber es gab so viele Auflagen, dass ich mich für Zelte entschieden habe“, sagt er. Auch die Nachbarschaft soll von dem Projekt profitieren: „Ich möchte Tanz- oder Kochkurse anbieten und so Arbeitsplätze schaffen, aber auch ganz konkret Brunnen bauen, weil es schon ein paar Meter von hier keinen Zugang mehr zu Trinkwasser gibt.“

Eigenwillig. Ein bisschen gibt er es dann selbst zu, dass sein Weg aus dem ruandischen Rahmen fällt. „Ich habe mich schon immer als Außenseiter gefühlt“, sagt er, „wobei mich letztendlich auch meine Reisen verändert haben.“ Indien, Europa, Amerika – Patricks Bücherregal ist vollgestellt mit den neuesten Lonely-Planet-Ausgaben. Viele seiner ruandischen Freunden können ihn darin bis heute nicht verstehen. „Sie sagen, ,es ist doch schön hier, warum fährst du weg?‘ Aber ich finde, wenn man sieht, wie andere Menschen leben, verändert das die eigene Perspektive.“ Am besten habe ihm Mexiko gefallen, „da bin ich richtig dick zurückgekommen, so lecker war das Essen“, sagt er. Ein Visum für Singapur, wo er sich für einen Freiwilligendienst interessierte, wurde ihm verweigert mit dem Hinweis, dass es in seinem Heimatland sicherlich genug Projekte gebe, bei denen er mithelfen könne. In Prag bedrohte ihn ein Drogendealer, weil er in Patrick einen neuen Konkurrenten vermutete. Das Reisen mit dunkler Hautfarbe ist nicht immer leicht.

Laid-back. Patrick nimmt es mit Humor und legt eine Platte auf. Melody Gardot, er liebt es entspannt-zurückgelehnt. „Ich denke, ich bin alt geworden“, kommentiert er schmunzelnd. Oder angekommen, möchte man hinzufügen. Zumindest für den Moment. Denn das nächste Projekt fällt ihm bestimmt bald ein.


23. November 2015

 


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