Bérénice Morizeau

Berenice Morizeau

… lebt als Rastafari im spirituellen Zentrum ihrer Religion. Mit ihrer NGO kümmert sie sich um HIV-positive Kinder.


„Jah hat mir die Möglichkeit gegeben, das zu tun, wovon ich schon als Kind geträumt habe“, fasst Bérénice Morizeau ihr Leben und ihre Aufgabe in nur einem Satz zusammen. Die gebürtige Französin leitet das Yawenta Children’s Center in Shashamane. Ausgerechnet Shashamane, dem wichtigsten Ort der Rastafari-Bewegung. Dem spirituellen Zentrum jener Menschen, die ihrer Religionszugehörigkeit mit langen Dreadlocks Ausdruck verleihen. Ebensolche Dreads trägt auch Bérénice – und Jah, das ist ihr Gott.

Ihr Dasein als Rastafari, sagt die 30-Jährige, beeinflusse sie in der Art und Weise, das Leben zu verstehen: „Es war Haile Selassies Traum, dass sich Äthiopien positiv entwickelt. Und dieses Ziel verfolge auch ich, deswegen arbeite ich hier.“ Der Hintergrund: Die Rasta-Bewegung entstand vor genau 85 Jahren. Nachdem der Schwarzen-Rechtler Marcus Garvey in den 1920er-Jahren die Krönung eines schwarzen afrikanischen Königs prophezeite, sahen einige Nachfahren afrikanischer Sklaven, die vornehmlich aus der Karibik stammten, diese Vorsehung am 2. November 1930 als erfüllt an: Haile Selassie I wurde zum „King of Kings“, zum äthiopischen Kaiser gekrönt. Sein bürgerlicher Name lautete Tafari Makonnen, vor seiner Krönung trug er den Titel „Ras“ – Ras Tafari also. Ihn verehren die Rastafari seither als zweite Menschwerdung Gottes auf Erden, als Wiederkehr Jesu Christi.

Zu den Zielen der Rastas gehört die Rückführung auf den afrikanischen Kontinent, der Heimat ihrer Ahnen. Diesem Wunsch kam Haile Selassie 1948 teilweise nach, indem er ihnen zwei Quadratkilometer Land in Äthiopien schenkte: Im bis dato kaum bewohnten Örtchen Shashamane, drei Autostunden von Addis Abeba entfernt, gelegen im Großen Afrikanischen Grabenbruch, der Wiege der Menschheit, begannen einige Rastas aus der Karibik fortan ein neues Leben. Anfang der 1970er-Jahre stieg ihre Zahl auf 2000 an, zunehmend zogen auch nordamerikanische und europäische Rastas nach Shashamane. Heute leben schätzungsweise noch 300 Rastafari in „Little Jamaika“. Eine von ihnen ist Sister Bérénice.

Immer, nachdem ich weggegangen bin, war ich frustriert. Wie jemand, der nicht genug getrunken hat. Jetzt gerade trinke ich.

„Es war von jeher mein Wunsch, nach Äthiopien zu kommen, um hier zu arbeiten“, erinnert sie sich. Als im Alter von elf, zwölf Jahren erstmals Reggae-Musik aus den Zimmern ihrer älteren Geschwister an ihre Ohren dringt, ist sie sofort verzaubert. Alles, so sagt sie, habe sie fortan über Afrika, insbesondere über Äthiopien gelesen, verschlungen, aufgesaugt. Mit 14 kamen dann die Dreadlocks. Acht Jahre später bereist sie das Land für ein halbes Jahr, spätestens da ist es um sie geschehen. Mehrere Praktika in Äthiopien folgen und nach dem Master-Abschluss und einem Jahr in einer jamaikanischen Rasta-Community, bekommt sie 2013 den Job als Leiterin des Yawenta Children’s Centre. „Ich wollte unbedingt hier arbeiten. Immer, nachdem ich weggegangen bin, war ich frustriert. Wie jemand, der nicht genug getrunken hat. Jetzt gerade trinke ich“, sagt sie.

Ihre kleine NGO kümmert sich um HIV-positive Kinder und solche aus sozial schwachen Familien. Vier Essen erhalten ihre Schützlinge am Tag, dazu kostenlose medizinische Behandlung und Transporte zu medizinischen Einrichtungen. Nachmittags, wenn sie die öffentliche Schule verlassen, werden die Kinder hier mit Hilfe der Montessori-Pädagogik unterrichtet, mal im Klassenraum, mal im Bio-Gemüsegarten. Individuell, unterstützt von Psychologen. „Als ich hier vor etwas mehr als zwei Jahren ankam, haben wir 70 Kinder betreut. Jetzt sind es 106“, ist Bérénice stolz.

Und dazu hat sie allen Grund. Denn in Äthiopien eine lokale NGO zu betreiben kommt einer Mammutaufgabe gleich. World Vision, SOS Kinderdorf, UNHCR – die großen internationalen Namen liest man hier in jeder größeren Stadt. Doch kleinere Einrichtungen sind nicht gerne gesehen. „Ich habe zwei Jahre dafür gekämpft, um endlich staatlich anerkannt zu werden“, sagt Bérénice. „Ohne diese Papiere sind wir offiziell nicht zugelassen, dürfen uns auf keine Fördermittel bei großen NGOs oder ausländischen Botschaften bewerben“, erklärt sie. „Aber jetzt haben wir die Zulassung, endlich.“ Andere lokale NGOs haben da weniger Glück: immer wieder werden welche geschlossen, weil ihnen das Geld ausgeht. Das Yawenta Center von Bérénice Morizeau ist nun hingegen auf einem guten Weg.

Chillen, Kiffen, Reggae-Music. Zieht man die Rasta-Stereotypen-Schublade nur einen Spalt weit auf, springen einem diese drei Vorstellungen sofort entgegen. Die Rasta-Community in Shashamane entspreche diesem Vorurteil fast ganzheitlich, kritisiert Bérénice. Einen Eindruck davon gibt ein Besuch im Nyahbinghi-Tabernakel, das nur einen Steinwurf vom Yawenta Center entfernt liegt. Nach Angaben der Gemeinschaft handelt es sich um das größte Rasta-Gotteshaus der Welt. „Wir haben zwar staatliche Fördergelder zum Erhalt der Kirche bekommen, aber seitdem irgendwie noch nichts geschafft“, erklärt ein zugedröhnter Rasta im Innern des renovierungsbedürftigen Gebäudes. An den Wänden hängen Haile Selassie und Bob Marley in zig-facher Ausführung, neben dem Gästebuch für Besucher liegt schon das Gras für den nächsten Joint bereit. Anstelle von Brot und Wein wird während des Gottesdienstes Ganja geraucht. Marihuana. „The healing of the nation“, wie sie das Gras nennen. Die Trägheit hier ist auf den ersten Blick charmant, doch auf den zweiten ist sie erdrückend. Auch Bérénice raucht gerne mal einen Joint, obwohl das die Regierung strengstens untersagt. „Aber ich bin clever genug, dass es keiner mitbekommt, wenn ich mal rauche.“ Dennoch: „Wir müssen zeigen, dass wir nicht einfach nur irgendwelche Kiffer sind. Es gibt Wichtigeres.“

Wichtiger ist vor allem das Streben nach weltweitem Frieden und Gerechtigkeit. Doch diese sind gegenwärtig ernsthaft gefährdet in Shashamane, dem gelobten Land der Rastas. CNN, BBC, AFP, Le Monde – alle waren sie in den vergangenen Wochen hier, denn es brodelt in der Stadt. Der Konflikt beginnt bürokratisch: Rastas erhalten von den Behörden grundsätzlich keine äthiopische Staatsbürgerschaft. Jedes Jahr müssen sie – manche von ihnen sogar alle drei Monate – ihr Visum verlängern. Zu immensen Kosten, unter der Schikane der Beamten. Auch die Landschenkungen aus den Zeiten Haile Selassies sind mittlerweile offiziell fast alle aufgehoben worden.

Hey Bobby Marley, sing something good to me. This world go crazy. It’s an emergency. (aus dem Song „Mr. Bobby“ von Manu Chao)

Diesen Status als „Ausländer“ ohne geregelte Besitzverhältnisse nutzen seit einigen Monaten vermehrt die äthiopischen Nachbarn aus, welche die Rastas von ihrem Grund und Boden verjagen. In den vergangenen Wochen wurden ein deutscher, ein italienischer und ein schwedischer Rasta vertrieben – einfach so. Sie flohen in ihre europäische Heimat oder nach Jamaika, auf ihren Grundstücken wohnen jetzt andere. Ein Rasta kam bei einer solchen Auseinandersetzung sogar ums Leben. Die Situation ist angespannt, die Rastas sehen ein neues „Babylon“ auf sie zurollen. So nennen sie das Böse.

Die Diskriminierung der Rastas existiert nicht erst seit kurzem: Bereits in der Zeit des diktatorisch-sozialistischen Derg-Regimes unter Mengistu Haile Mariam zwischen 1977 und 1991 wurden die meisten von ihnen vertrieben. Seither werden sie landesweit stigmatisiert. Viele Rastas trennen sich nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung schweren Herzens von ihrer Dreadlock-Mähne – denn mit ihr haben sie keine Chance auf einen Job als Lehrer oder Banker in Äthiopien. Aufgrund dieser Diskriminierung und der Vertreibungen schrumpft die Zahl an Rastas kontinuierlich.

Der Ärger ist groß, die Angst auch. Das Thema ist in aller Munde, doch politische Vertreter haben die Rasta-Bredas und -Sisters nicht – und so sind sie relativ schutzlos dem Schicksal ausgeliefert. Sagen sie. Bérénice Morizeau sieht das anders und sucht die Gründe in der Rasta-Community selbst: „Die meisten Rastas hier reden weder amharisch, noch gehen sie einer geregelten Arbeit nach. Viele von ihnen kommen hierher, um große Reden zu halten und einfach nur zu chillen“, sagt sie. „Sie versuchen nicht, ihre Nachbarn zu verstehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sich zu integrieren. Warum sollten sie dann von ihren Nachbarn toleriert werden? Wir Rastas“, sagt sie selbstkritisch, „sind in den Lebensraum dieser Leute gekommen, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. In den Lebensraum von Menschen, die noch nie etwas über Marcus Garvey, Sklaverei oder die Karibik gehört haben. Deshalb sind wir hier fremd und müssen auf die Menschen zugehen.“ Doch genau diesen Schritt vermisse sie. „Momentan fühle ich mich mehr als Äthiopierin denn als Rastafari“, gibt sie zu, ohne aber die grundsätzlich kritische Situation der Rastas in Äthiopien zu verleugnen.

Einfach mehr Frieden in Shashamane und auf der ganzen Welt, das wünscht sich die Frau, die weder Radio noch Fernseher besitzt. Frieden, wie in ihrem Kinderheim. Frieden, wie ihn der Rhythmus der Nyahbinghi-Trommeln verbreitet oder die Musik von Chronixx und Ali Farka Touré. Und wie ihn sich alle Rastas wünschen – trotz aller Probleme und Streitigkeiten ein zutiefst bewundernswertes Ziel, in welchem sich die gesamte Bewegung eint.


16. November 2015

 


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