Axsuimite Hailu

Axsuimite Hailu

verkauft auf dem größten afrikanischen Marktplatz Schuhe an Menschen mit wenig Geschmack: Männer.


Ausnahmsweise stellen wir diesem Portrait einen kurzen Prolog voran. Ursprünglich sollte an dieser Stelle ein anderes Thema behandelt werden. Unsere Idee war es, eine der weiblichen Geschäftsfrauen zu portraitieren, die in Äthiopien einen normalen Teil des Geschäftsalltags darstellen. Wir kamen daraufhin mit der Gründerin eines erfolgreichen Start-Ups in Kontakt, das Schuhe in großen Mengen produziert und diese unter anderem nach China exportiert. Kurz vor unserem Treffen dann der Rückzieher: kein Interview ohne eine schriftliche Genehmigung der Regierung. Das Unternehmen habe Sorge, so wurde uns mitgeteilt, durch kritische Statements bei der Regierung in Ungnade zu fallen. Ihre größte Angst sei, dass wir über die regelmäßigen Stromausfälle berichten würden, welche die Produktion beeinträchtigen. Diese Argumentation überraschte uns sehr, denn es ist kein Geheimnis, dass man in Äthiopien die Uhr (nicht die elektrische!) danach stellen kann, wann es zum nächsten Stromausfall kommen wird. Ein äthiopischer Bekannter erklärte uns anschließend den wohl eigentlichen Grund: Nach ihrem letzten Interview sei ein Regierungsvertreter im Büro der Unternehmerin erschienen und habe ihr nahegelegt, sich künftig nicht mehr befragen zu lassen. Nicht minder als diese direkte Form der Zensur überwältigte uns die Tatsache, dass uns unser Bekannter während des anschließenden Brainstormings im Restaurant dezent darauf hinwies, dass hinter uns ein Regierungsspitzel sitze, der unser Gespräch belausche. Die Regierung wolle wissen, mit wem sie es zu tun habe, erklärte er uns.

Unsere anschließende Idee, eine Vertreterin einer hoch geschätzten Frauenrechtsorganisation zu interviewen, mussten wir ebenfalls verwerfen: Ihre Vorsitzende floh vor einigen Jahren aufgrund des enormen Drucks aus Regierungskreisen ins kenianische Exil – die Organisation oder ein Äquivalent existieren seither nicht mehr.

Nach dieser Entwicklung der Recherche haben wir uns schließlich entschieden, trotzdem etwas über Frauen – und entsprechend unserer ersten Idee – etwas mit Schuhen zu machen. Wenn auch etwas ganz anderes.

 


Man kann hier im wahrsten Sinne des Wortes verloren gehen. Vielleicht landet man bei der Suche nach dem Busbahnhof, nach Haushaltswaren oder Elektrogeräten während eines kilometerlangen Gewaltmarschs durch dieses irre Labyrinth irgendwann zufällig bei Axsuimite Hailu. Und mit viel Glück hat die 21-Jährige sogar ein bisschen Zeit – zwischen zwei verkauften Paar Schuhen, inmitten eines Bergs aus selbigen sitzend. Seit einem halben Jahr arbeitet die junge Frau hier. Zusammen mit Tausenden anderen, vorsichtige Schätzungen gehen von mehr als 7.000 Geschäften und Ständen und 13.000 Verkäufern aus. Der optische Eindruck aber gibt einem das Gefühl, man müsse diese Zahlen gut und gerne ins Sechsstellige aufstocken oder gar ins Quadrat setzen. Doch eine feststehende Zahl verbietet sich schlichtweg, so atemberaubend riesig ist dieser Ort. Axsuimite verkauft hier Schuhe aus China an Herren aus Äthiopien. Die Treter sind Fälschungen und werden von wohlklingenden Marken produziert. „Adidos“ zum Beispiel.

Ach, China! Überall ist das Land der Mitte in Äthiopien vertreten. Als Bauherr großer Firmen- und Hotelkomplexe in den Großstädten sowie der ersten Betonstraße nach Lalibela, zu den weltberühmten Felsenkirchen. Oder eben durch Adidos. „Die meisten Schuhe“, sagt Axsuimite, „werden von Zwischenhändlern erworben und anschließend gewinnbringend auf dem Land weiterverkauft.“ Der Kassenschlager sind Sneaker, sportlich, stylish, bunt. Das bereits erwähnte Modell trägt drei Streifen, andere erinnern zumindest im Logo oder Namen an manch bekannte Marke aus westlichen Gefilden.

Schuhe sind alles für eine äthiopische Frau. Es gibt nichts Größeres oder Wichtigeres.

Schuhe an Männer zu verkaufen, das sei zwar in Ordnung, sagt Axsuimite. Ihr Traum aber sei es, so bald wie möglich Frauen zu besohlen: „Männer sind zwar nicht völlig ahnungslos – aber Frauen kennen sich einfach besser aus, folgen stärker der Mode.“ So wie Axsuimite selbst. Acht Paar hat sie zu Hause, am liebsten trägt sie die richtig hohen Hacken. „Schuhe sind alles für eine äthiopische Frau. Es gibt nichts Größeres oder Wichtigeres“, strahlt sie. Schuhe an Frauen verkaufen, vielleicht irgendwann ein eigener Schuhladen – das sind die Träume der jungen Hauptstädterin. Und endlich wieder Theaterspielen. Wie zu der Zeit, als sie noch nicht in den abertausenden Spotlights des wuseligen Mercato unterging. Das Theater, es ist ihr Hobby, ihr Scheinwerfer, ihr Traum, den sie bereits in mehreren Stücken verwirklichen durfte. So eifert sie dem äthiopischen Schauspieler Girum Ermias und auch Angelina Jolie nach, „aber nicht, weil die schon ein äthiopisches Kind adoptiert hat“, sagt sie.

Ob sich Angelina Jolie während ihrer Besuche in Äthiopien bereits auf dem Mercato verirrt hat, ist nicht bekannt. Zu wünschen aber wäre ihr diese Erfahrung in einem Viertel, das so weit reicht wie der Horizont. Der Mercato, er erstrahlt in einer seltenen Farbpracht. „Du bekommst hier einfach alles, was du brauchst“, versucht Axsuimite ihre Faszination in Worte zu fassen. Aber was bringen Worte, um etwas zu beschreiben, das schon mit den Augen nicht ganzheitlich erfasst werden kann? Der Mercato ist eine solche Unfassbarkeit, eine Reizüberflutung aller Sinne, die noch lange nach dem Besuch nachwirkt.

Bombastisch, extraordinär, irgendwie muss man dieses Marktviertel ja beschreiben – das größte auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, gelegen im Herzen der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Bilder sagen mehr als tausend Worte, heißt es. Doch selbst Bilder können immer nur einen Ausschnitt zeigen; im Falle des Mercato nur einen außerordentlich kleinen.

Rechterhand Schuhe, weiter geradeaus Obst, Gemüse, die buntesten Farben, noch buntere Gerüche. Ein Straßenhändler vertickt den neuen James-Bond-Streifen auf DVD. Obwohl dieser erst vor vier Wochen in den Kinos anlief. Irgendwo, heißt es, sei wieder ein Taschendieb unterwegs. Links abbiegen, die Sinne sind überfordert, vor allem die Augen kommen nicht hinterher. Waren das eben Hühner, da neben dem Knoblauch? Geradeaus der zentral gelegene Khat-Markt, den man nach europäischem Verständnis wohl als geduldeten öffentlichen Drogenumschlagplatz bezeichnen würde. Taxis hupen uns, Transporter und Minibusse sich gegenseitig an, vorbei an irgendwelchem Zeug, Schüsseln, dann ein Abschnitt mit T-Shirts und Pullovern, gefolgt von einem mit Hosen. Völlige Orientierungslosigkeit, irgendwo Krempel, ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil aus Fernost stammend. Der Mercato ist laut, chaotisch, fast schon rhythmisches Chaos. Er riecht, er duftet, er stinkt. Mercato, Du wärst die perfekte Filmkulisse. Vielleicht ziehst du ja auch Angelina Jolie bei ihrem nächsten Besuch in deinen Bann. Und schenkst Axsuimite Hailu zumindest eine kleine Nebenrolle.


11. November 2015

 


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