Werku Mekonen

Werku Mekonen

… kämpfte vor 80 Jahren mit Chilischoten und Schwertern gegen die italienischen Besatzer.


Chilischoten. Das war das erste, das sie holten, als sie hörten, dass die italienischen Truppen kurz vor ihrem Dorf standen. Zwar hatte sich zuvor herumgesprochen, dass die italienische „banda“ in Teile des Landes eingefallen war – dennoch trafen die Übergriffe Äthiopien völlig überraschend. Werku Mekonen war damals 15 Jahre alt. Er war weder vorbereitet noch ausgebildet oder mit Waffen ausgerüstet. Angst hatte er trotzdem nicht. Die Chilis wollten er und die anderen Dorfbewohner den Italienern in die Augen streuen.

Das ganze Land habe zusammengestanden, als die Italiener unter Mussolini 1935 zum zweiten Mal versuchten, Äthiopien zu besetzen, erzählt der 95-jährige Kriegsveteran rückblickend. Er mischt sich ein Radler aus Sprite und Dashen-Bier, seine Hand zittert dabei leicht.

Bereits 1896 war es zum Besatzungsversuch gekommen, der aber an der zahlenmäßigen Überlegenheit der Äthiopier gescheitert war. 40 Jahre später versuchten es die Italiener erneut – dieses Mal über ihre Kolonie Eritrea nördlich von Äthiopien und über Italienisch-Somaliland im Südosten. Fünf Jahre dauerten die Gefechte im Land an. Fünf Jahre, in denen Werku und seine Leute weder einen festen Wohnort noch ausreichend zu Essen hatten. „Das war egal – es ging nicht um meine Person, sondern um unser Land“, erinnert er sich. Jeder im Land habe versucht, gegen die Italiener zu kämpfen. „Nicht nur der Norden oder der Süden – alle Äthiopier waren damals Krieger.“ Ganz ohne Training oder Vorbereitung seien sie in den Kampf gezogen. „Wir hatten auch keine Schusswaffen, sondern nur Schwerter“, sagt er und schlägt sich ungläubig mit der Hand an die Stirn.

Auch der damalige Kaiser Haile Selassie I. zog persönlich in den Kampf. Dennoch gelang es den Italienern, weit ins Land vorzudringen, sodass sie schließlich auch die Hauptstadt Addis Abeba besetzten. Haile Selassie floh ins britische Exil nach London und bat vor dem Völkerbund vergeblich um Hilfe. Unterdessen lief so mancher Äthiopier zu den Italienern über, die eine bessere Behandlung versprachen, Maschinengewehre und Bomben. „Bandas“ werden diese Überläufer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur italienischen Armee genannt und sind bis heute schwer verachtet.

Für Werku kam ein solcher Verrat nicht in Frage. Lieber hungerte er und kämpfte für die Freiheit seines Landes. Trotz des leidenschaftlichen Einsatzes der Äthiopier änderte sich die Situation erst 1941, als die Briten mit einer Großoffensive in den Konflikt eingriffen. Italien, Kriegsgegner Großbritanniens im zweiten Weltkrieg, hatte zuvor versucht, auch Britisch-Somaliland im Norden des heutigen Somalia zu besetzen. Ein Jahr später entschieden die Briten den Krieg nach heftigen Auseinandersetzungen in der gesamten Region für sich: In der „Schlacht von Gonder“ konnten sie die strategisch wichtige Stadt einkesseln und die Italiener schließlich zum Aufgeben zwingen. Mit dem Fall der Stadt vertrieben die britischen Truppen die Italiener aus Äthiopien, Eritrea und auch Somalia. Bis heute sind die Äthiopier stolz darauf, als einziges Land des afrikanischen Kontinents nie kolonialisiert gewesen zu sein.

Das war ein bisschen wie Hollywood. Ich habe mich gefühlt wie neu geboren.

Aus diesem Grund sind die Kämpfer von damals in der äthiopischen Gesellschaft noch immer höchst geachtet. Während der 35-jährigen Jubiläumsfeier der amharischen Regierungspartei AMDH, die an diesem Tag stattfindet, sitzen sie selbstverständlich in der ersten Reihe – der ein oder andere inzwischen auf einen Stock gestützt. Werku hat seine dunkelgrüne, sorgfältig gepflegte Militäruniform aus dem Kleiderschrank geholt. Wie immer an solchen besonderen Tagen. Der alte Äthiopier ist vor allem stolz auf seine Orden, deren Bedeutung er besonders gerne erklärt. Enthusiastisch erzählt er mit blitzenden Augen, dass ihm die beiden ersten Orden nach Kriegsende von Haile Selassie verliehen wurden. „Das war ein bisschen wie Hollywood“, beschreibt er und schüttelt sich vor Lachen. Bei der Verleihung, bei der tausende Menschen anwesend waren, sei jeder einzelne Kämpfer mit seinem Namen aufgerufen und geehrt worden. „Es war wie ein zweiter Geburtstag für mich“, sagt Werku mit stolz geschwellter Brust, „ich habe mich gefühlt wie neu geboren.“ Die anderen Orden seien ihm von den Briten für seinen Kampf sowie für seine spätere 35-jährige Tätigkeit als Polizist verliehen worden.

Lächelnd winkt Werku ab, als er gefragt wird, ob er noch negative Gefühle gegenüber den Italienern hege. „Farbe und Herkunft sind mir egal – alle Menschen sind gleich. Und sowieso ist alles von Gott bestimmt“, lässt er stattdessen verlauten. Froh sei er aber über die Infrastruktur und die Gebäude, die von den Italienern zu der Zeit errichtet wurden. Die hielten bis heute, während äthiopische nach fünf Jahren erneuert werden müssten. „Könnt ihr uns nicht mal ein paar Europäer hier her schicken, um Gebäude zu bauen? Uns fehlen dafür irgendwie die Gene“, sagt er.


5. November 2015

 


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